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Immer wieder werden in Internetforen von unerfahrenen Haltern Fragen nach Pflanzen gestellt:
„Welche Pflanze ist das?“, „Kann ich sie verfüttern?“ Und nicht selten lautet die Antwort auf bestimmte Pflanzen: „Bitte nicht verfüttern, die Pflanzen enthalten viel Oxalsäure.“ So manche Pflanze landet dann auf der Schwarzen Liste, weil sie laut Auskunft anderer Forenteilnehmer nicht verfüttert werden darf. Interessanterweise sind es gerade einige dieser Pflanzen, die von Schildkröten gern gefressen werden.

Nun sind die Fressvorlieben der Tiere allein kein guter Ratgeber, würde man sich nach dem richten, was Schildkröten gern fressen, dann würden z.B. Europäische Landschildkröten auch wunderbar mit einem Futterplan, der aus Früchten, Hundeflocken, Nudeln und Schnecken besteht, auskommen. Sinnvoll oder artgerecht ist das nicht – und gesund schon gar nicht. Trotzdem bleibt die Frage: Wie verhält es sich denn nun mit dieser berüchtigten Oxalsäure? Gehen wir zunächst der Frage nach:

Was ist eigentlich Oxalsäure?

Oxalsäure gehört zu den sogenannten „organischen Säuren”. Chemisch gesehen handelt es sich um Ethandisäure, umgangssprachlich auch Kleesäure genannt. Ihren Namen verdankt die Säure dem Sauerklee (Oxalis) einer Pflanzengattung aus der Familie der Sauerkleegewächse (Oxalidaceae) . Die Summenformel der Säure ist  C2H2O4.

Im Rahmen ihres Stoffwechsels bilden verschiedene Pflanzen diese Oxalsäure. Die Menge der Säure ist natürlich zum einen grundsätzlich abhängig von der Pflanzenart, einige Pflanzen bilden viel, andere gar keine Oxalsäure. Die Menge ist aber auch abhängig vom Entwicklungsstadium der Pflanzen sowie äußeren Bedingungen, wie Nährstoffversorgung. Oxalsäure befindet sich in allen Pflanzenteilen, überwiegend aber in Blättern und Stängeln. Bei getrockneten Pflanzen nimmt der Oxalsäureanteil mit der Zeit wieder ab.

Zu den größten Oxalsäureproduzenten der Natur zählen folgende Pflanzenarten:

  • Alle Ampfer, vor allem der Krause Ampfer, der Gartenampfer und der Sauerampfer. Sauerampfer enthält zwischen 830 und 1770 mg Oxalsäure pro 100g Pflanzenanteil und gehört damit zu den absoluten Spitzenreitern.
  • Rhabarber (Stiele): Sie bestehen zu 0,3 bis 0,7% aus Oxalaten.
  • Sauerklee (Oxalis acetosella). Hier weisen schon der deutsche und der lateinische Name auf die Säuren hin. Der normale Klee hingegen enthält kaum Oxalsäure.

Ebenfalls zu erwähnen sind:

  • Amerikanische Agavenarten und Aloe
  • Begonien
  • Schachtelhalmarten
  • Mittagsblumen
  • Kalisalzkraut
  • Bucheckern

Da diese Pflanzen auch andere Giftanteile enthalten, sollten sie ohnehin nicht an Schildkröten verfüttert werden, bzw. werden von den Tieren ohnehin nicht gefressen. Zu den weiteren Pflanzen, die größere Mengen Oxalsäure gehören:

  • Jungfernrebe
  • Weinrebe (Laub)
  • Portulak
  • Kapuzinerkresse
  • Gartenkresse
  • Gartenmelde
  • Mauerpfeffer

Zu den von Menschen verzehrten Pflanzen, die als Schildkrötenfutter nicht geeignet sind, gehören u.a.:

  • Rhabarber (s.o.)
  • Spinat
  • Mangold
  • Sternfrucht

Ein übermäßiger Verzehr dieser Arten kann zu einer Lebensmittelvergiftung mit Oxalsäure führen. Kinder unter 2 Jahren dürfen daher keine oxalsäurehaltigen Pflanzen essen, ebenso Menschen mit Nierenproblemen.

Was aber ist jetzt das Problem mit der Oxalsäure?

Viele salzartige Oxalate sind in Wasser schwer oder gar nicht löslich: Calciumoxalat gehört zu diesen kaum löslichen Salzen. Wenn ein Organismus Oxalsäure aufnimmt, dann geschieht dies in der Regel in Form der wasserlöslichen Kaliumoxalate. Im Körper verbinden sich die Oxalate mit dem dort befindlichen Calcium zu dem wasserunlöslichem Calciumoxalat. Dieses Oxalat kristallisiert aus. Das Ganze sieht chemisch gesehen so aus:

K2C2O4 -> 2K+ + C2O42–                       Ca2+ + C2O42–  -> CaC2O4

Welche Folgen hat das nun?

Zunächst führen hohe Oxalsäuredosen bei Säugern zu unmittelbaren erheblichen Reizungen im Magen- und Darmtrakt. Ein Nachweis gleicher Reaktionen bei Reptilien fehlt allerdings.

Oxalat steht – und das löst die immer gleichen Warnhinweise aus – im Verdacht, ein „Calciumräuber“ im Organismus zu sein. Wie oben geschildert, bilden die wasserlöslichen Oxalatverbindungen, vor allem das Kaliumoxalat, das wasserunlösliche Calciumoxalat, das dann vom Organismus der Schildkröten nicht mehr aufgenommen werden kann.

Und noch mehr: Die sich im Organismus ansammelnden Calciumoxalat-Kristalle lagern sich hauptsächlich in den Nieren- und Harnleitersystem ab. Geringere Mengen werden mit dem Urat ausgeschwemmt. Größere Ansammlungen aber führen zu Nieren- und Harnsteinen. So setzen sich laut Untersuchungen menschliche Harnsteine zu 50% bis 75% aus Calciumoxalat zusammen. Das dürfte bei Schildkröten nicht wesentlich anders sein.

Dazu muss man wissen:

Schildkröten brauchen wie alle Wirbeltiere zuallererst Calciumcarbonat zum Knochenaufbau. Aber das ist noch lange nicht alles. Denn Calcium wird an vielen Stellen im Körper gebraucht. Es ist von zentraler Bedeutung bei neuronaler Erregung, Muskelkontraktion, Blutgerinnung und enzymatischen Aktivitäten. Calcium ist eine Substanz, die für viele Körperfunktionen von großer Bedeutung ist. Oder noch einfacher: Ohne Calcium läuft im Körper (fast) gar nichts.

Da in einem Organismus ein „Rädchen ins andere greift“, können sich alle Räder nur richtig drehen, wenn alle mehr oder weniger gut funktionieren. Blockieren Räder an Schlüsselstellen, ist das ganze System lahmgelegt. Ähnlich verhält es sich auch im Organismus. Ohne Muskelkontraktion keine Bewegung, ohne neuronale Erregung kein funktionierendes Nervensystem usw..

Diese Funktionen sind so wichtig, dass sie – jetzt wieder bildlich und sehr einfach gesprochen – bei der Verteilung von Calcium höchste Priorität haben. Erst wenn für diese Funktionen genügend Calcium zur Verfügung steht, „kommt der Knochenaufbau dran“.

Diese Priorität des Körpers zeigt sich deutlich bei einer Calcium-Unterversorgung: Bei einer dauerhaften Calcium-Unterversorgung versorgt sich der Körper aus seinen eigenen „Depots“. Um also sicherzustellen, dass genug Calcium für die wichtigen Körperfunktionen vorhanden ist, holt sich der Organismus zur Not das eingelagerte Calcium aus den bereits gebildeten eigenen Knochen. Auch das ist eine sehr stark vereinfachte Erklärung, aber sie hilft zu verstehen, warum Calcium für Schildkröten (und alle anderen Wirbeltiere) immer lebensnotwendig ist.

Wird also eine Schildkröte auf Dauer mit zu wenig Calcium versorgt, führt das nicht nur dazu, dass der Knochenaufbau nur mangelhaft erfolgen kann, es geht sogar noch weiter: Knochen werden nicht nur nicht auf- sondern sogar wieder abgebaut.

Hierbei muss man sich zusätzlich vor Augen führen, dass der Anteil des Skeletts am Körpergewicht von Schildkröten um ein Vielfaches höher ist, als bei allen anderen Wirbeltieren. Das resultiert durch den speziellen Skelettaufbau der Schildkröten, denn ein Großteil des Skeletts besteht ja unter den Hornschilden aus großen Knochenplatten.

Der Panzer eines Schildkrötenschlüpflings macht  21% des Körpergewichts aus. Bei Landschildkröten steigt der Anteil mit der Zeit auf etwa 29%, bei Sumpfschildkröten auf 31%, bei Wasserschildkröten auf 34%. (Alles Durchschnittswerte).

Das Skelett der Vögel macht zum Vergleich nur etwa  8-10% des Gesamtgewichts aus, bei Mäusen sind es auch etwa 10%. Das menschliche Skelett bringt es auf 10-15% des Gesamt-Körpergewichts.
Besonders Jungtiere brauchen während ihres Wachstums enorme Mengen an Calcium und Phosphor zur Aushärtung von Skelett und Panzer. Das ganze Calcium allerdings würde den Tieren übrigens nichts nützen, wenn sie nicht in ausreichender Menge UV-B-Strahlung zur Verfügung haben, denn diese spielen bei der Vitamin-D3-Synthese und dem Knochenaufbau eine ebenso wichtige Rolle.

Wenn der Calciumspiegel im Organismus zu niedrig ist, also nicht gedeckt wird durch Zufuhr mit der Nahrung, bedient sich der Körper des eigenen Calciums. Es wird aus den Knochen herausgelöst. Rachitis ist die Folge. Bei Jungtieren führt Calciumunterversorgung zu erheblichen Deformationen und Erweichungen. Bei erwachsenen Tieren führen die Mineralisationsstörungen zu Osteomalazie.

Das kann sehr weitreichende Folgen haben. Knochenbrüche sind unmittelbare Folgen. Aber gerade die Deformationen führen zu einer langen Liste an Beeinträchtigungen und Erkrankungen: Beeinträchtigungen der Lunge und anderer Organe mit allen Folgeerscheinungen/-erkrankungen, Bewegungsprobleme, Probleme mit der Nahrungsaufnahme usw…

Bei weiblichen Schildkröten gibt es noch einen zusätzlichen hohen Bedarf für Calcium: Die Ausbildung von Eierschalen.

Eigene Regulierung der Schildkröten?

Die Erfahrungen der Halter zeigen, dass die meisten Schildkröten ihre Nahrungsaufnahme, was die Inhaltsstoffe der Nahrung betrifft, nur begrenzt regulieren. So steuern sie z.B. die Calciumzufuhr selbst, nicht aber die Dosierung von Pflanzen, die schädliche Substanzen enthalten. Eine Schildkröte hält beim Verzehr schmackhafter Arten nicht instinktiv “Maß”. Sie wird also nicht aufgrund möglicher gesundheitlicher Gefahren nur wenige Weinblätter fressen, wenn diese ihr zur in größerer Menge zur Verfügung stehen.
2006 schrieb Wolfgang Wegehaupt in seinem Buch „Natürliche Haltung und Zucht der Griechischen Landschildkröte“:  Speziell Mauerpfefferarten sind im natürlichen Habitat teilweise massenhaft vorhanden und werden auch bei uns von den Schildkröten sehr gerne gefressen… Daher kann ich nur vermuten, dass der in den anderen Pflanzen enthaltene wesentlich höhere Kaliumgehalt und das Überangebot an zusätzlichen Kalziumlieferanten die Störung des Kalziumstoffwechsels wieder ausgleicht.“ (Wegehaupt, 2006. S. 207).

Entwarnung gibt Ludwig Kalt in seinem Beitrag „Oxalsäure, doch kein Kalziumräuber“ auf der von Horst Köhler betriebenen Internet-Plattform Schildi-Online. Er führt aus, dass eine sehr starke Kalium-Zunahme bei Schildkröten die Tiere in die Lage versetzt, Oxalate (an Kalium gebunden und in Wasser gelöst) wieder auszuscheiden, anstatt dass die Oxalate die freien Calciumionen zu unlöslichem Oxalat ausfällen. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist der Hinweis auf Löwenzahn, der nun auch nicht gerade wenig Oxalsäure enthält: „Gerade Löwenzahn hat sich als Schildkrötenfutter bewährt und ist für viele Schildkrötenhalter seit langem ein Hauptfutter, ohne dass dabei Schäden für die Tiere entstanden sind. So sollte man meiner Meinung nach aufhören, Pflanzen, von denen man gehört hat, sie enthielten Oxalsäure, nur deshalb nicht zu verfüttern.“

Seine Quintessenz: „Somit lässt sich aussagen, dass eine kaliumreiche Ernährung – wie sie jede Landschildkröte, die zum Großteil mit Wildkräutern, Blattgemüse, Sukkulenten und Ähnlichem ernährt wird, erfährt – einen eventuellen merklichen Kalziumverlust durch Oxalsäure verhindern kann. Ernährt der Pfleger seine Landschildkröte(n) abwechslungsreich und nicht gerade mit Sauerampfer als alleinigem Hauptfutter, spielt der Oxalsäuregehalt einzelner Wiesenkräuter nur eine untergeordnete Rolle.“

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Autor: Lutz Prauser